Am 1. November 2014 wurde nach einer Woche Bauzeit in Wernau am Neckar der erste Prototyp eines Fahrradbusses fertig gestellt und leitete damit die neue Ära der Pedalkraft ein, deren Entwicklung fast 150 Jahre durch die Verbreitung der Dampfmaschine zum Erliegen gekommen war. Die für uns heute selbstverständliche Haltung, möglichst achtsam und effizient mit den Ressourcen umzugehen, war von den Menschen damals noch überhaupt nicht entwickelt, denn alle Energieressourcen schienen noch im Überfluss vorhanden zu sein. Und aus der Begeisterung heraus über die auf einmal auftauchenden unendlichen Möglichkeiten gerieten die Menschen in einen regelrechten Energie- und Verschwendungswahn.
Die Verehrung des Autos
Bei all der Energie- und Geschwindigkeitssucht ist es nur selbstverständlich, dass das Auto zum vorherrschenden Transportmittel wurde. Dessen Entwicklung ist eines der besten Beispiele dafür, wie menschliche Erfindungen und Institutionen, die aus einer kurzsichtigen, individuellen Perspektive Sinn zu machen scheinen, längerfristig und gesellschaftlich gesehen, eine Schwelle überschreiten können, an der sie nicht nur ineffektiv, sondern sogar kontraproduktiv werden. Manchmal, im Falle des Autos, nehmen sie sogar völlig absurde Züge an. So beförderte ein Auto, in dem normalerweise bis zu fünf Personen Platz hätten, durchschnittlich 1,4 Personen und das obwohl es zumindest ab der Verbreitung des Internets alle Möglichkeiten gegeben hätte, dies ohne größeren Aufwand zu optimieren.
Dieser verrückte Individualismus lässt einen heute noch ein zweites Mal den Kopf schütteln, wenn man den Energieverbrauch der damaligen Autos bedenkt. Ein durchschnittliches Auto um die Jahrtausendwende fuhr mit einem Liter Benzin (ca. 15 kWh) gerade einmal 10 bis 20 km. Ein Mensch könnte mit der gleichen Energiemenge eine Woche leben oder gut 1000 km mit dem Fahrrad zurück legen. Als die Ressourcen knapp wurden, wurden die Autos in einer scheinbar trotzigen Reaktion sogar immer größer und schwerer.
Ein Mini (!) wog 1970 immerhin 617 kg. Um das Jahr 2010 stieg seine Leermasse auf 1,4 Tonnen – ganz zu schweigen vom Boom der SUVs (Super unnützes Vehikel). Die für das Auto nötige Infrastruktur verschlang enorme Ressourcen und konnte den wachsenden Mobilitätsansprüchen doch nie gerecht werden. In den Städten beanspruchten die Autostraßen und Parkflächen die Hälfte der Stadtfläche, was durch die Zersiedelung wiederum mehr Autoverkehr verursachte. Überall gab es Stau, sodass die Durchschnittsgeschwindigkeit in vielen Städten deutlich unter 20 km/h lag. Völlig verdrängt wurde die Tatsache, das dazu noch unglaublich viel Geld und Zeit für die Kosten der Autos aufgewendet werden musste. Wenn wir mit einberechnen, wie lange ein Mensch damals durchschnittlich arbeiten musste, um das Auto selbst, den Kraftstoff, die Wartungs- und Reparaturkosten, die Versicherung, sowie all die Steuern zu bezahlen, die für die ganze Infrastruktur (+ Umwelt- und Unfallfolgekosten) aufgewendet wurden, wird uns erst richtig klar, warum wir heute mit unserer Mischung aus Pedalkraft und Schienenverkehr der damaligen Mobilität weit überlegen sind.
Das Monopol des Autos
Es wurde außerdem erwartet, dass man bereit war, täglich 50 km zur Arbeit zu pendeln. Gleichzeitig wurden viele der Möglichkeiten, an denen man die Dinge für das tägliche Leben bekam so zentralisiert, dass sie zu Fuß nicht mehr erreichbar waren. Wer sich kein Auto und alle damit verbunden Kosten oder die Fahrt mit den sehr teuren öffentlichen Verkehrsmitteln leisten konnte, wurde zunehmend vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. So bildete das Auto ein radikales Monopol, dass die einfachen und natürlichen Möglichkeiten der Menschen ihre Bedürfnisse zu erfüllen, einschränkte und sie zu einem bestimmten Lebensstil zwang. Neben der erstaunlichen Ineffizienz und den sozialen Zwängen hatte das Auto weitere katastrophale Nebenwirkungen. Riesige Autobahnen und tausende Straßen,
auf denen täglich hunderte von Tieren überfahren wurden, zerschnitten die Landschaft und beeinträchtigten die Ökosysteme. Der CO2 Ausstoß trug zum Klimawandel bei. Abgase, Stäube und Abrieb vergifteten Luft, Wasser und Boden. Dies führte in Verbindung mit dem Bewegungsmangel bei vielen Menschen zu erheblichen Gesundheitsschäden. Während damals einzelne Tote bei den damaligen Kriegen im Ausland zu Schlagzeilen führten, wurden die 300 Tote und 3000 Schwerverletzten im Autoverkehr pro Monat (Bezug: damalige Bundesrepublik Deutschland) fast nirgendwo erwähnt und anscheinend als unvermeidlicher Kollateralschaden der individuellen Mobilität hingenommen.
Zusammengefasst können wir sagen, dass der damalige Autoverkehr teuer, laut, ungesund und ineffizient war, der Umwelt schadete und allein in der damaligen BRD jeden Monat hunderte Menschen tötete. Gleichzeitig gab es schon damals mit dem Fahrrad ein Fahrzeugkonzept, das leise, gesünder und viel billiger war, die Umwelt nicht schädigte, keine Menschen umbrachte, viel weniger Ressourcen verbrauchte und dazu im Stadtverkehr noch schneller war. Die Überlegenheit des Fahrrades wurde auch von der damaligen Forschung und von allen, die es regelmäßig nutzten, bestätigt. Dass die meisten Menschen damals das Auto trotzdem für die effektivste und schnellste Mobilitätsform hielten zeigt, wie wenig dem damaligen Verkehrssystem rationale Ursachen zu Grunde lagen.
Im Jahr 2014 taten sich dann zwei zuvor unabhängige Teams zusammen, um all diesem Unsinn etwas entgegenzusetzen und entwarfen das heute überall bekannte Konzept des Fahrradbusses, den sie in nur einer Woche realisierten: Hinter dem modularem Aufbau stand die Idee, dass das Fahrzeug ebenfalls alleine und individuell genutzt werden kann, wobei aber (wie im echten Leben) die Effizienz steigt, je mehr Menschen zusammen fahren und Synergieeffekte greifen.
Der Einzelradantrieb ermöglicht, dass jede Person individuell schalten und damit ihre Kraft voll einbringen kann. Das Nebeneinandersitzen von jeweils zwei Personen in bequemer, sicherer Sitzposition, ohne die Gefahr umzukippen, erzeugt ein völlig neues Fahrgefühl. Die hinten sitzenden Personen konnten sich so in Ruhe unterhalten, lesen oder die Landschaft und Stille genießen, bei gleichzeitiger Bewegung an der frischen Luft. Die Konstrukteure verabschiedeten sich auch sehr schnell von ihren anfänglichen Überlegungen ein möglichst auf Geschwindigkeit optimiertes Gefährt zu bauen. Sie setzten lieber auf Komfort und eine neue Kultur der Langsamkeit. Eine Kultur in der der Genuss des langsamen Fahrens mit einer optimalen gesellschaftlichen Geschwindigkeit und das Er-fahren der eigenen Kraft mehr zählt, als die individuelle Geschwindigkeitssucht auf Kosten anderer.
Der Fahrradbus war ein Symbol für die Entdeckung der Langsamkeit. Es zeigte zum einen wie viel möglich wäre, wenn das „Know-How“ der Universitäten und die Finanzkraft der Autokonzerne für die Weiterentwicklung der Pedalkraft genutzt würde – und zum andern, dass jeder, auch ohne Experte zu sein, hier erste Schritte gehen
konnte.
So kam es, dass durch die einfache Bauweise und die öffentliche Bauanleitung, viele Menschen begannen den Fahrradbus nachzubauen und weiterzuentwickeln. Der modulare Aufbau ermöglichte hier wiederum, dass die einzelnen Module auf die vielfältigste und individuellste Weise gestaltet und ausgestattet werden konnten. So entstanden einfache, reduzierte Fahrzeuge und Luxusmodule, mit Sesseln, Federung, Elektrounterstützung, aufklappbarem Tisch, Internetanschluss, kleiner Bibliothek und Leselampe. Es entwickelten sich z.B. die Küchenmodule, die sich in kleine Küchen mit Herd, verwandeln und die Pedalkraft für unterschiedliche Küchengeräte wie Mixer oder Rührgerät nutzen konnten, die Musikmodule, mit integrierten Schlagzeug und anderen Instrumenten, auf denen ganze Bands spielten. Hängemattenmodule für ein völlig neues Fahrgefühl, Bambus und Holzmodule.
Die erste Gruppe baute auch schon bald ein Werkstattmodul, mit dem sie herum fuhr und z.B. an Schulen Workshops gab, in denen sich Schüler ihren eigenen Schulbus bauten. Bald fuhren immer mehr Schüler mit Fahrradbussen zur Schule. Umso mehr Fahrradbusse auf den Straßen fuhren, um so mehr mussten sich die Autofahrer an deren gemütlichen Fahrstil anpassen und wechselten darum auch bald. Die Gesundheit der Bevölkerung verbesserte sich, die Fettleibigkeit nahm ab und die Luft wurde wieder genießbar. Die Straßen konnten verkleinert werden und hielten wegen den deutlich geringeren Fahrzeuggewichten um ein Vielfaches länger (Vierte-Potenz-Gesetz).
Überall entstanden Parks und Freizeitflächen (Dank der Aufstellbarkeit verbraucht ein geparktes Modul ja nicht mehr Fläche als zwei Fahrräder). Schon kurze Zeit später kam man auf die Idee, das Fahrradbus-Prinzip auch auf die Schiene zu übertragen. Hier konnten bis zu hundert Module hintereinander gehängt werden und auf interregionalen Strecken eingesetzt werden. Zudem wurden diese Fahrradzüge mit Segeln ausgestattet, die, da der Fahrradzug ja auf den Schienen befestigt war, bei fast jeder Windrichtung die Pedalkraft unterstützte.
So trug die neue Mobilität zu der erstaunlichen Tatsache bei, dass die Menschen, die endlichen Ressourcen, noch bevor die zu ihrer wirklichen Neige gegangen waren, gar nicht mehr über Maß verbrauchten. Es ist für viele Menschen heute ein wichtiger Indiz für die Freiheit der menschlichen Entwicklung, dass wir die Kultur der Genügsamkeit entwickelten, noch bevor uns die Umstände dazu zwangen. Die Menschen wollten die Geschwindigkeit, die immer größeren Autos und Häuser, den ständig wachsenden Müll und Besitz, den ständigen Lärm und das grelle Licht nicht mehr. Sie wollten auf einmal wenig Dinge, die dafür wirklich gut und langlebig waren. Sie wollten so viel wie möglich selber machen oder zumindest reparieren können, Sie wollten wissen woher die Dinge kommen und die Produzenten am liebsten selber kennen. Sie wollten für das, was sie taten Zeit haben, um es wirklich gut tun zu können. Sie wollten möglichst autonom sein und von Menschen, denen sie vertrauten und nicht von anonymen System anhängig sein. Darum entwickelte sich die heutige Wirtschaftsweise, in der alle Produkte möglichst energieoptimiert sind, regional hergestellt werden, leicht zu verstehen und selber nachzubauen sind und in der darum die menschliche Pedalkraft, als einfache und effiziente Energiequelle, wieder eine wichtige Rolle spielt.
Text: Emil Allmenröder (verändert)